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„Die Munition nicht zu schnell verschiessen“

Das Internet-kritische Referat des Zürcher Soziologie-Professors Kurt Imhof lieferte für das weitestgehend Facebook-erprobte Publikum einigen Diskussionsstoff. Wir haben dem Medienexperten im Anschluss an seinen Vortrag noch ein paar Fragen gestellt.

 


Schwache Thesen sind nicht seine Sache: Der Soziologe Kurt Imhof polarisiert gerne, was er in seinem rund einstündigen Referat auch eindrücklich zeigte. Unter dem Titel „Wettstreit um elektronisch verifizierte Beziehungen: zur Marktdiktatur des Intimen“ präsentierte Imhof seine These, nach der die Fähigkeit zur Freundschaft und damit zur Empathie unter Jugendlichen rapide abnehme, denn parallel zu ihrem ständig steigenden Internetkonsum seien sie der Marktdiktatur des Intimen ausgesetzt, um ‚digitale friends’ zu akkumulieren.

 

Das Kernproblem sind dabei aus Imhofs Sicht die sogenannten Social Communities, allen voran Facebook, auf denen Jugendlichen möglichst viele „Freunde“ sammeln, um damit ihren sozialen Status zu verbessern. Diese Online-Freunde seien zu einer Währung geworden, die junge Menschen mittlerweile zwinge, mehr als ihr ökonomisches und kulturelles Kapital zu messen, ihr soziales Kapital auf Heller und Pfennig bzw. auf die Zahl ihrer ‚friends’ auszuweisen. Im Tausch dagegen verraten viele Jugendliche dafür auf ihren Online-Profilen intime Details aus ihrem Leben, was ihnen laut Imhof wiederum zu neuen Freunden verhilft. Es ist diese sogenannte Marktdiktatur des Intimen, die Imhof anprangert, da sie aus seiner Sicht die echten Freundschaften, die Jugendliche vielleicht haben (oder haben könnten) bedroht.

 

„Wenn das Intime öffentlich wird, zerstört es sich selbst“, bringt es der Soziologe auf den Punkt, und versucht damit zu erklären, warum es so ein grosser Unterschied ist, ob wir etwas auf unserem Facebook-Profil preisgeben oder ob wir es einer einzigen Person anvertrauen. Freundschaften, da ist  Imhof überzeugt, zeichneten sich durch geteilte Geheimnisse aus und würden erst dadurch wertvoll und tragfähig („Gleichgewicht des Schreckens vor wechselseitigem Verrat“). Da Jugendliche aber zusehends mehr Zeit mit der Pflege ihres Facebook-Profils verbringen als mit ihren realen Freunden, und online fast genauso viel verraten wie im intimen Zwiegespräch, stellt sich die Frage, mit wem junge Menschen dann noch eine empathische Beziehung eingehen.

 

Interview

 

Sie behaupten, dass Jugendliche auf Plattformen wie Facebook durch das Preisgeben von Intimitäten Freunde gewinnen. Aus meiner Sicht werden aber auf Facebook viel eher Banalitäten verbreitet, Privates behält jeder für sich. Wer seine Online-Freunde mit Beziehungsproblemen nervt, macht sich in der Community eher unbeliebt.

Larmoyanz kommt natürlich nicht gut an, das ist klar. Aber mit Intimitäten meine ich ja nicht unbedingt persönliche Probleme, sondern eben vor allem Informationen über die eigenen kulturellen Vorlieben, über Persönlichkeitsmerkmale oder auch über die eigene Biografie.

 

Das ist doch nichts Intimes.

Doch, das ist es! Aber es ist gut möglich, dass Ihnen das gar nicht mehr so vorkommt, weil Sie in einer Zeit aufgewachsen sind, in der es vollkommen normal ist, der ganzen Welt die eigenen Geschmacksurteile oder biographische Angaben mitzuteilen. Wenn Sie allerdings fünfzig Jahre zurückgehen, werden Sie sehen, dass man damals zum Beispiel in Kontaktanzeigen noch sehr viel weniger von sich preisgab. Mehr als das Alter und den Beruf gab man meistens nicht an. Heute versuchen Singles in Kontaktanzeigen ihre subjektive Innerlichkeit auszubreiten. Daran können wir beobachten, dass ich unser Verständnis dessen, was Privat ist und was Öffentlich, komplett gewandelt hat.

 

Aber Sie wünschen sich nicht die 50er Jahre zurück, oder?

Nein gar nicht. Mir ist einfach wichtig, dass wir uns bewusst sind, dass wir heute zum Beispiel auf Facebook Dinge verraten, die wir früher nur mit guten Freunden geteilt hätten. Sie müssen sich das wie ein Munitionslager vorstellen: Wenn Sie online bereits alles verschiessen, was haben Sie dann noch übrig, wenn Sie jemanden von Angesicht zu Angesicht treffen?

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