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Vom Bellevue nach Aleppo: Wenn Schweizer in den Jihad ziehen

Die Geschichten beschäftigen nicht nur Blick und Co., sondern auch die Jugendarbeit: In der Schweiz lebende Jugendliche, meist jung und männlich, reisen nach Syrien, um sich dem Bürgerkrieg anzuschliessen. Obwohl das Problem die Schweiz im Vergleich zu anderen Staaten nur am Rande betrifft, stehen viele offene Fragen im Raum. Die Zürcher Hochschule für angewandte Wissenschaften ZHAW hat in einer Studie unter der Leitung von Dr. Miryam Eser Davolio untersucht, warum und wie sich junge Menschen radikalisieren lassen.

„Eigentlich nur Schadensbegrenzung“: So fasst Dr. Miryam Eser Davolio den Standpunkt des Schweizer Nachrichtendienstes NDB zusammen. Sie kommen aus allen Bevölkerungsschichten und -gruppen: Junge Menschen, die einer radikal-islamischen Ideologie folgend nach Syrien reisen, um sich den Kämpfen anzuschliessen. Entgegen dem häufig von Medien gezeichneten Bild von perspektivlosen Jugendlichen ist die Mehrheit der Ausreisenden IS-Anhänger zwischen 26 und 35 Jahren alt. 76 insgesamt sind es, die die Schweiz in den letzten Jahren verlassen haben – die Rückkehrer lassen sich an einer Hand abzählen. 300 weitere Personen werden vom NDB überwacht. Nur eine Konstante gibt es: Fast alle stammen sie – die Reisenden oder die „Gefährdeten“ – aus säkularen Familien – egal ob christlich oder muslimisch.

Säkularer Hintergrund, aber Kämpfer für den Islamischen Staat – Wie passt das zusammen? Auch hier widerspricht die Studie dem allgemein gezeichneten Bild. Die Motivation muss sich nicht aus einem Defizit heraus entwickeln, es kann auch der Wille für etwas sein. Die Bilder, die uns aus Syrien und den Flüchtlingslagern erreichen, sind erschreckend, gar übelkeitserregend. Seien es Vergewaltigungen, Hinrichtungen oder gewaltiges Elend, das der Krieg zurücklässt: Solche Extreme bewegen den Menschen. Bis zu dem Punkt, an dem es ihn nicht mehr in Ruhe lässt. „Rohes“ Material wird oft schnell von öffentlichen, bekannten Seiten gelöscht. Die Suche im Internet führt zu alternativen Informationsquellen. Problematisch ist, dass dort Information und Rekrutierungspropaganda nicht mehr einfach zu trennen ist.

Gerade der Islamische Staat IS legt grossen Wert darauf, sich als Gegenmodell zur westlichen Zivilisation zu positionieren. In seinen mehrsprachigen zum Download angebotenen Hochglanzmagazinen wird das Leben im Staat gezeigt: Mit gemeinschaftlicher Altersvorsorge, friedlichen Ordnungshütern und nicht korrupten Strukturen. Es wird eine Patchworkideologie vermittelt, aus der sich Suchende etwas auswählen: Sei es die Abwendung von Leid, der Kampf gegen eine Übermacht, das Gemeinschaftsgefühl oder eine religiöse Offenbarung.

Dr. Eser Davolio warnt aber: Es sei nie nur ein Grund, der den Ausschlag gebe, in den Krieg zu ziehen. Es ist das Zusammenspiel, etwa zwischen Ausgrenzungserfahrungen und der geopolitischen Situation der Welt oder Syrien, zusammen mit den fehlenden religiösen oder sozialen Netzwerken, die fruchtbaren Boden für eine Radikalisierung sein können. Einer geschehenden Radikalisierung gegenüberzutreten ist schwierig. Eine zu harsche Intervention kann den Prozess auch massiv beschleunigen.

Genau wie die Rekruten aus dem Abendland scheint aber auch der Islam nur ein Instrument für Gruppen wie den IS zu sein. Das zeigt sich darin, dass Kriegsreisende mehrheitlich nur geringe Islamkenntnisse haben, obwohl sie sich meist zum Islam bekennen.

Es ist konsternierend, wie auch eine solche Studie uns schlussendlich nur vorführt, dass der Mensch nach den immer gleichen Mustern funktioniert: Es sind Empathie, Mitleid, eigene Ausgrenzungserfahrung und Perspektivlosigkeit, die einen Menschen zu einem radikalen Anhänger machen. Es ist das Unverständnis und die Ablehnung vom direkten Umfeld, die aus einem Moderaten einen Fanatischen machen können. Und es gibt eine breite Gruppe unter uns, die keinen Platz findet und in den Glauben geraten, ihr Platz sei im Krieg.

Text: Kaspar Rechsteiner
Fotos: Raphael Hünerfauth

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