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Normalität und Sensibilität

Was ist normal? Zum Auftakt der Sommerakademie spricht der Soziologe Ueli Mäder über Normalität. Er versucht, diese Frage im Eröffnungsreferat der Sommerakademie zu beantworten. Doch wie normal ist diese Normalität?

„Wir alle sind mit den an uns gestellten Erwartungen konfrontiert. Erfüllen wir diese, so gelten wir als normal. Tun wir dies nicht, sprechen wir von Anomalitäten“, so Ueli Mäder.

Für den Basler Soziologen existieren unzählige Definitionen von „normal“ – fast so viele, wie Menschen auf unserem Planeten. Wie unterschiedlich diese Normalitäten sind, zeigt er in seinem Referat an der Sommerakademie 2015. Mäder eröffnet die Tagung mit der Frage: „Wie normal ist Normalität?“. In der Soziologie würden Normen als Erwartungsbündel bezeichnet, die zu erfüllen seien, um als normal zu gelten. Die Norm ist hierbei die oft autoritäre Mehrheit: „Wir sehen alles durch unsere eigene Brille“, so Ueli Mäder. Diese Brille sei der Filter, der sich durch die Kombination aus Erziehung, Umfeld und Genetik ergebe. Es ist dieser Filter, der es uns erlaubt, Einschätzungen zu treffen und Meinungen zu bilden.

Mut zur Ambivalenz
In der heutigen, pluralistischen Gesellschaft treffe eine Vielzahl von Normen aufeinander. Hierbei sei es wichtig, die Sensibilität zu entwickeln für verschiedenste Weltansichten und die Beurteilung von Normalität. Dabei sei es von zentraler Bedeutung, Ambivalenz und Diversität nicht nur zuzulassen, sondern diese ebenso als normal und stimmig anzuerkennen. Den Perspektivenwechsel zu schaffen, sich die Mühe zu machen, sich in jemand anderen hineinzuversetzen, sei zwar mit Aufwand verbunden. Dieser zahle sich jedoch durchaus aus, sagt der Soziologe.

Vor allem für die Jugendarbeit sei es von Bedeutung, sich rückbesinnen zu können. Dabei soll die Perspektive der Kinder und Jugendlichen angenommen werden, ohne deren Ansichten wertend einzuordnen. Zwiespältigkeit und Unschlüssigkeit sollten hierbei zumindest toleriert werden.

Ständiger Wandel
„Was macht der Mensch aus dem, was die Gesellschaft aus ihm macht?“, fragt Ueli Mäder und fährt mit der Theorie des sozialen Konstruktivismus fort. Die Gesellschaft konstruiere ihre Normalitäten selbst. Diese Vorschriftsmässigkeiten seien aber auch ständigem Wandel ausgesetzt. Insbesondere für Jugendliche sei es in einer Welt inmitten einer Unzahl von Möglichkeiten schwierig, zu entscheiden, wer oder wie sie sein wollen. Genau deshalb solle Ambivalenz nicht als Mangelerscheinung, sondern als Inbegriff der Auseinandersetzung mit der eigenen Umwelt verstanden werden.

Im Sinne der Normalität äussert Ueli Mäder Kritik an der Bewunderung der Exzellenz. Es sei unverständlich, warum nur die Besten und Begabtesten gefördert werden sollen. „Denn Fleiss und Begeisterung können ebenso Meister hervorbringen wie Talent oder Berufung.“

Interview

Ueli Mäder, kann der soziokulturelle Wandel der Kindererziehung überhaupt aktiv beeinflusst werden oder hängt dieser nicht viel eher von der gesellschaftlichen Weiterentwicklung ab?

 

Natürlich hängt ein Teil allein von der Entwicklung der Gesellschaft ab, dennoch würde ich meinen, dass es für die Kinder durchaus hilfreich sein kann, wenn sie wissen, dass nicht immer alles nach Schema F ablaufen muss.

Wie kann das am besten vermittelt werden?

Indem man versucht authentisch zu sein und von den eigenen Schwierigkeiten zu berichten weiss. Es soll nicht immer nur der Anschein erweckt werden, dass die Erwachsenen alles können. Hilfreich für Kinder und Jugendliche ist die Einsicht, dass auch Dinge zugelassen werden, die nicht immer toll laufen.

Welche Dinge laufen bei Ihnen nicht so toll? Welchen Erwartungen können Sie nicht gerecht werden?

Da gibt es einige (lacht). Eine davon ist es die Tendenz zu viel anzunehmen, zu oft Ja zu sagen. Manchmal scheine ich gefährdet zu sein, zum Workaholic zu mutieren. Doch genau da frag ich mich selbst kritisch, was für ein Beispiel ich dadurch abgebe, dass ich so tüchtig bin. Ich denke, dass es für Kinder und Jugendliche hilfreicher sein könnte, zu sehen, dass ich auch Pausen mache, dass ich auch mal Nein sage. Das Buch: „Die Entdeckung der Langsamkeit“ hab ich schon mehrmals geschenkt bekommen. (lacht)

Welche der heute geltenden Gesellschaftsnormen halten Sie für unnötig?

Wir laufen Gefahr, die Kontrolle über Kinder und Jugendliche zu weit zu treiben. Entweder lassen wir sie ganz auf sich allein gestellt oder aber wir versuchen, alles zu kontrollieren - teilweise kommt es dazu, dass die Eltern die Rucksäcke ihrer Kinder auspacken und beinahe selbst die Hausaufgaben lösen.

Die grösste Gefahr in meinen Augen wäre, wenn wir keine Fehlerkultur mehr hätten, wenn wir keine Fehler mehr zulassen würden.

Text und Interview: Sofiya Miroshnyk, Fotos Anina Peter

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