Information | Förderung | Politik

>> AKTUELL>> SERVICE>> ÜBER UNS>> FÖRDERN HELFEN!
Sommerakademie > Sommerakademie 2009 > Berichterstattung > 

Das Gehirn, unser wichtigstes Netzwerk

Die beiden Neurowissenschaftler Hennric Jokeit und Norbert Herschkowitz boten mit ihren Referaten einen faszinierenden Einblick in die Strukturen und Prozesse des komplexesten Organs unseres Körpers.

 

 


Der dritte Tag der Sommerakademie stand, zumindest was die beiden Referate betraf, ganz im Zeichen der Neurowissenschaften. Den Anfang machte am Morgen der Neuropsychologe PD Dr. Hennric Jokeit vom Zentrum für Neurowissenschaften Zürich, mit einer auch für Laien verständlichen Einführung in die funktionelle Bildgebung von Emotionen. Jokeit verstand es dabei, seine wissenschaftlichen Erkenntnisse mit Beispielen aus der Kunst- und Literaturgeschichte zu illustrieren: Sprach er von Angst, präsentierte er ein Schreckensbild von Peter Paul Rubens,  um gleich danach auszuführen, was in unserer Amygdala (umgangssprachlich auch Mandelkern genannt) passiert, wenn wir mit Bildern oder Filmausschnitten konfrontiert sind, die angsterfüllte Gesichter zeigen. In Experimenten, die Jokeit mit seinen Stundenten durchführte, konnte er zeigen, dass die Amygdala, also jener Teil unseres Gehirns, der bei Gefahr reagiert, auch dann aktiv wurde, wenn die Probanden sich Ausschnitte aus einem Kinofilm anschauten, in denen jemand Angst nur spielte. Ein eindrückliches Beispiel, das zeigte, dass unsere Emotionen sehr viel lebendiger und vor allem unkontrollierbarer sind, als dies den meisten Menschen bewusst ist.

 

Denselben Effekt konnte Jokeit auch bei Schauspielerinnen und Schauspielern beobachten, die er im Kernspintomographen eine Szene aus einem Stück spielen liess. Um zu untersuchen, inwieweit Profischaupieler tatsächlich echte Gefühle empfinden, liess Jokeit sie zuerst eine Szene mechanisch nachsprechen und danach mit vollem Einsatz nachspielen. Im zweiten Teil des Experiments wurde eine erhöhte Aktivität in der Amygdala beobachtet, ein Beleg dafür, dass es sich beim Schauspiel durchaus nicht um eine Simulation von Gefühlen handelt, sondern dass sehr reale Gefühle im Spiel sind.

 

Im letzten Teil seines Referats schnitt Jokeit noch kurz das brisante Thema des Neuroenhancements an, also der Beeinflussung von Prozessen im Gehirn mithilfe pharmazeutischer Substanzen. Nun da wir schon so genau wüssten, welche Botenstoffe im Gehirn für das Gefühl der Verliebtheit verantwortlich seien, sei es kein grosser Schritt mehr zu Medikamenten, die z.B. bei unglücklichen Ehepaaren wieder Zuneigung auslösten. Bei Depressionen, so Jokeit, greife man ja schon seit Jahren zunehmend zu Psychopharmaka, um möglichst schnell wieder belastbar zu sein. Es sei also wahrscheinlich nur eine Frage der Zeit, bis dasselbe Verfahren auch bei anderen emotionalen Problemen angewendet werde. Dass ihn diese Zukunftsvision nicht unbedingt optimistisch stimmt, liess der Neuropsychologe in der anschliessenden Diskussion klar durchblicken. Aber wo eine Nachfrage bestehe, da werde früher oder später auch das passende Medikament dafür erzeugt, so Jokeit.

 

Kinder sollen auch scheitern dürfen

Das Nachmittagsreferat wurde von einem wahren Urgestein der Neurowissenschaften bestritten: Dem Kinderarzt und Neurowissenschaftler Prof. Dr.  med. Norbert Herschkowitz, der jahrelang die  Abteilung für Entwicklung und Entwicklungsstörungen an der Universitäts-Kinderklinik Bern leitete. In seinem rund einstündigen Referat bot der emeritierte Professor einen Überblick über die verschiedenen Entwicklungen, welche das menschliche Gehirn von der Geburt bis zur Pubertät durchläuft. Dabei betonte Herschkowitz immer wieder, wie sehr die Plastizität, also die Veränderbarkeit unseres Gehirns, unterschätzt werde. Zu lange herrschte der Irrglaube, das Gehirn sei ab einem bestimmten Alter „fertig entwickelt“ und bilde sich nur noch zurück. Dabei, so Herschkowitz, hätte unsere Umgebung zu jedem Zeitpunkt unseres Lebens grossen Einfluss auf die Entwicklung unseres Gehirns.

 

Die wichtigste Zeit im Leben eines Menschen – zumindest was die Entwicklung seines Gehirns betrifft – sind allerdings die ersten fünf Lebensjahre. „Bereits Kleinkinder haben die Fähigkeit Struktur und sogar Sinn in ihre Welt zu bringen“, sagte Herschkowitz und präsentierte eine Studie die zeigte, dass Kinder bereits im Alter von sieben Monaten eine erste Vorstellung von Empathie und Moral haben, auch wenn sie dies noch nicht mit Worten artikulieren können. Um allerdings diese Fähigkeiten zur vollen Entfaltung bringen zu können, brauche ein Kind enge Bezugspersonen um sich, die mit ihm kommunizieren und ihm Rückmeldungen auf seine Handlungen geben.

 

Damit meinte Herschkowitz aber keineswegs einfach nur Lob, sondern vor allem echte Aufmerksamkeit. „Kindern sollen auch scheitern dürfen“, sagte er, „denn Herausforderungen zu meistern ist eine der wichtigsten Erfahrungen überhaupt.“ Es sei die Voraussetzung für die sogenannte Selbstwirksamkeit, ein Begriff, der für Herschkowitz fast dasselbe bedeutet wie Resilienz. „Wenn ein Kind etwas aus eigenem Antrieb schafft, so ist das Erreichen dieses selbstgesetzten Ziels Belohnung genug. Daraus entwickelt sich die Selbstwirksamkeit, es wächst das Gefühl, die Dinge selbst in die Hand nehmen zu können und auch schwierige Situationen erfolgreich zu meistern.“ Der Neurowissenschaftler plädierte deswegen auch für eine Erziehung und eine Schule, welche diese innere Motivation fördere, ohne dabei auf die alten Konzepte der Belohnung und Bestrafung zurückzugreifen. Wolle man Kinder trotz allem für etwas loben, so Herschkowitz, dann solle man ihren Einsatz für eine Sache würdigen, anstatt nur deren Ergebnis.

 

Obwohl Herschkowitzs Vortrag länger war als geplant, schien dies niemanden im Saal zu stören. Zu engagiert erzählte der Wissenschaftler aus seinem Fachgebiet, sogar dann, wenn er bereits bekannte Zahlen präsentierte: „In ihrem Kopf befindet sich eine halbe Milchstrasse“, bemerkte er lächelnd und spielte damit auf die rund 100 Milliarden Nevenzellen an, die zahlenmässig etwa der Hälfte aller Sterne in der Milchstrasse entsprechen. „Das Gehirn ist die komplexeste Struktur des Universums und die jeweils einzigartige Wechselwirkung von Genetik und Umweltbedingungen macht jedes Gehirn einmalig.“ Kein Wunder also, dass Herschkowitz noch immer so von seiner Materie fasziniert ist. Er beendete das Referat mit einem Dank an seine Frau Elinore Chapman Herkschowitz (Pädagogin und ehemalige Dozentin am Lehrerseminar Bern), die den Vortrag mit ihm zusammen vorbereitet hatte und in der ersten Reihe sass. „Sie hat heute Geburtstag“, sagte Herschkowitz in den Applaus hinein und es dauerte nicht lange, bis fast der ganze Saal ein kurzes „Happy Birthday“ zum Besten gab.

Galerie

Unser Newsletter bietet jeden Monat News und aktuelle Infos zu Projekten und Partnern.

Werden Sie Mitglied bei infoklick.ch und fördern Sie ganz gezielt die Partizipation von Jugendlichen. Zudem profitieren auch Sie von Vorteilen. Z.B. erhalten Sie 10 Prozent Rabatt bei der Teilnahme an unserer Sommerakademie. Hier geht's zur Anmeldung