Information | Förderung | Politik

>> AKTUELL>> SERVICE>> ÜBER UNS>> FÖRDERN HELFEN!
Sommerakademie > Sommerakademie 2012 > Berichterstattung > 

Wer bin ich? Körper und Selbst aus neuropsychologischer Sicht

Körper und Selbst bilden normalerweise eine unzertrennliche Einheit. Was, wenn das Selbstbild nicht mehr stimmt? Professor Peter Brugger von der Klinik für Neuropsychologie am Universitätsspital Zürich erläuterte, wie neue neuropsychologische Befunde im Wissensbereich der Integrationsstörungen helfen können.

"How much of a man would have to be lost in order to make him loose the last portion of individuality?" fragte man 1865 den amerikanische Neurologen Silas Weir Mitchell. Die Alltagserfahrung lehrt uns, dass die Grenzen des Körpers die Grenzen des Selbst darstellen, dass stets wir es sind, die unseren Körper steuern, und dass alle unsere Körperteile auch zu unserem Selbst gehören. Was passiert, wenn man eine virtuelle Realität des Körpers erfassen möchte, etwa bei Menschen, denen ein oder mehrere Körperteile amputiert wurden?

Die Lehre, die diese Phänomene untersucht, heisst Phantomologie; die meisten Menschen kennen den Begriff "Phantom" im Zusammenhang mit dem Terminus "Phantomschmerz", und das, seit es Kriege gibt. Wir interessieren uns hier besonders für die schmerzlosen Phantomempfindungen, von einer Phantomhand zu einem Phantomkörper – auch out-of-body-Erfahrung genannt.

William & Mary

Phantomerfahrungen wurden schon früh erfasst, so schrieb etwa René Descarte 1614: "Although the whole mind seems to be united to the whole body, I recognize that if a foot or arm or any other part of the body is cut off, nothing has thereby been taken away from the mind." Auch Roald Dahl umschrieb 1959 in seiner kleinen Novelle William & Mary dieses Phänomen. Mary ist unglücklich mit William verheiratet: er überwache sie ständig und lasse ihr keine Freiheiten. Eines Tages erkrankt William an Krebs. Nach mehrfachen Operationen bleibt am Ende nur noch Williams Gehirn übrig, das in einem Glas schwimmt und mit der Aussenwelt mit seinem noch intakten Auge verbunden ist – und nach Marys Meinung auch noch kommuniziert. Mary erlaubt sich jetzt alles, was ihr früher verboten war: Rauchen, und das sogar vor dem Fernseher! Sie meint, dass die kleinen Bläschen, die im Glas aufstiegen, Williams (empörtes) Selbst sei.

Von der Phantomhand zum Phantomkörper

Seriöser konnte durch klinische und experimentelle Beobachtungen festgestellt werden, dass es weder einen Phantomschmerz noch eine Amputation braucht, damit das Phantomphänomen auftritt. Ein Phantom ist das Fühlen eines virtuellen Körpers, was oft – aber nicht immer – mit Schmerz  verbunden ist. Prof. Brugger nahm das Beispiel eines 82-jährigen armamputierten Mannes, mit dem er eine Serie von Tests durchführte. Er bat ihn, seinen Phantomarm auszustrecken. Anschliessend legte Brugger einen Stapel Bücher "darauf", worauf der Patient meinte, sein Phantomarm sei verschwunden. "Wohin?", wurde er gefragt. "Es muss hier oben ausgeschaltet worden sein", sagte der 82-Jährige und tippte dabei an seinen Kopf.

Dass Phantome ein Produkt des Gehirns sind, ist nicht erstaunlich: das bewusste Erleben eines Selbst und das Resultat von Informationsverarbeitungs- und Darstellungsvorgängen wird im zentralen Nervensystem analysiert. Anhand neuropsychologischer Tests wurde im Publikum festgestellt, dass man das Gehirn schnell täuschen kann: beispielsweise das Kaffeetassen-Experiment oder auch die Pinocchio-Nase. Bei Letzterem werden die Muskeln des aufgestützten Armes von einen Gerät stimuliert, wobei sich der Proband gleichzeitig mit geschlossenen Augen an die eigene Nase greift. Nach einer Weile bekommt das Gehirn aufgrund der dauernden Vibration des Oberarms die Information, dass der Arm ausgestreckt sei. Was aber ist mit der Nase? Also täuscht uns unser Gehirn und gibt uns vor, entweder sehr lange Finger zu haben oder aber eine Pinocchio-Nase!

Erkenntnisse für die Wissenschaft

Man kann noch weiter gehen und out-of-body-Erfahrungen bei psychologisch kerngesunden Menschen hervorrufen: der Patient ist in einem Raum und sieht vor sich seine 3D-Projektion. Gleichzeitig werden der reale als auch der virtuelle Körper gleichzeitig stimuliert. Nach einigen Minuten fühlt der – gesunde! – Patient, wie sein Körper sich nach vorne zieht; er und fängt an, beide Körper zu verwechseln. Die Interaktion zwischen Sehen und Fühlen spielt also eine grosse Rolle und genau daran können die Wissenschaftler anknüpfen, um Therapien zu entwickeln. Leib-Seele-Probleme werden so in ein neues Licht gerückt.

Video-Ausschnitte Referat

Unser Newsletter bietet jeden Monat News und aktuelle Infos zu Projekten und Partnern.

Werden Sie Mitglied bei infoklick.ch und fördern Sie ganz gezielt die Partizipation von Jugendlichen. Zudem profitieren auch Sie von Vorteilen. Z.B. erhalten Sie 10 Prozent Rabatt bei der Teilnahme an unserer Sommerakademie. Hier geht's zur Anmeldung