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Porträt: Dominik Stillhart vom IKRK

„Dubček! Svoboda!“ habe er damals als Vierjähriger auf dem Spielplatz gerufen, 1968 während des Prager Frühlings. Wenig später kam eine polnische Flüchtlingsfamilie im Dorf an. Man war noch stolz auf die Gäste im Land – „wie viel sich doch verändert hat“.

Text: Miriam Stepper, Fotos: Daniel Barnbeck

Dominik Stillhart strahlt Ruhe aus, er sitzt locker im Sessel, seine Haltung ist offen, die Hände untermalen seine Worte mit sanften Gesten und ruhen sonst entspannt auf der Armlehne. Auch er trinkt ein Maisgold.

Einer seiner ersten Einsätze als junger Delegierter führte ihn 1991 nach Somalia, in die umkämpfte Stadt Kismayo. Sein Einsatzleiter legte ihm 200‘000 Dollar auf den Tisch, erzählt Dominik und schwelgt in spürbar deutlicher Erinnerung. Er sollte am nächsten Tag 2‘000 Tonnen Nahrungsmittel vom Schiff holen. Alleine. Es folgte eine Nacht voller Selbstzweifel, doch im Morgengrauen habe er sich dann gesagt: Entweder mache ich das jetzt, oder ich fliege endgültig nach Hause. Er blieb.

Aufgewachsen ist er im Kanton Zug, studierte Volkswirtschaft und ging direkt danach zum Internationalen Roten Kreuz. Viele Jahre lebte er im Ausland, momentan ist sein Wohnort in der Nähe von Genf. Mit Mitte Zwanzig dachte er: Das mache ich nun zwei Jahre, dann suche ich mir einen richtigen Job. Inzwischen sind es schon 24 Jahre. Dominik Stillhart leitet Operationen in über 90 Ländern. Eine Zeit, die neben erschütternden Erfahrungen auch von grossartigen Momenten des Glücks geprägt wurde.  

„Es hat mir  wahnsinnige Horizonte eröffnet und hat mich sicher als Person verändert. Wahrscheinlich sehe ich die Welt viel realistischer als vor 20 Jahren.“ Alte Freude sagen, er sei immer der gleiche geblieben.

Vor allem Begegnungen haben ihn sehr berührt. Die Einfachheit der Leute und des Lebens unterscheiden sich stark von unserem, schildert Dominik Stillhart. Trotzdem können sie genau wie wir glücklich oder traurig sein über ihr Leben.
„Wenn man neu in ein Land geht stellt man sich ja immer etwas vor und dort merkt man dann jedes Mal, wie die Leute doch individuell argumentieren, denken und fühlen. Schlussendlich ist die grosse Bereicherung, dass man diese Länder auf eine viel differenzierte Art kennenlernt.“

 Die Motivation zieht er aus den kleinen Glücksmomenten. Eine Familienzusammenführung gebe neuen Antrieb für viele Jahre, erklärt Dominik Stillhart und betont, „mehr Teil der Lösung als nur des Problems“ sein zu wollen.

Dieses „Problem“ allerdings ist vielfältig: Krieg ist ebenso ein Grund zur Flucht wie Perspektivlosigkeit, gerade für junge Menschen. „Flucht ist der letzte Ausweg“, sagt Dominik Stillhart. Denn wer flieht, weiss nicht, ob und wann er zurückkommt. „Flüchtlinge sind Freiwild“, sie durchqueren verschiedenste Länder auf ihrem Weg in ein vermeintlich besseres Leben. Oft sind es die Erlebnisse auf der Flucht, die die tiefsten Wunden in die Seelen brennen.

Gerade diese psychologischen Aspekte der Flüchtlingshilfe wurden lange unterschätzt. Traumatisierende Momente, sexueller Missbrauch von Frauen und Folter sind häufige Begleiter. In Sinai wurden gezielt Gefangenenlager errichtet, die Flüchtlinge abfangen und um Geld erpressen. Diese Menschen haben meist  ihr ganzes Geld gegeben um überhaupt fliehen zu können. Dann müssen sie Verwandte um noch mehr Geld bitten, um – vielleicht – frei zu kommen. Dies sei eine der mitunter schlimmsten Dinge, die Dominik Stillhart in seiner Zeit erlebt habe.

Das Gewicht der Erlebnisse bewegt, genauso die beeindruckende Art , von dieser anderen Welt zu berichten. Dominik Stillhart sagt über sich selbst, die Arbeit habe ihn zynischer gemacht, aber Angst habe er keine. „Es ist nicht so, dass es nie Momente gab, in denen ich Angst hatte, aber wenn ich in einem Kriegsgebiet bin, weiss ich, dass mir da nichts passiert – es ist ebenso wahrscheinlich in New York vom Auto überfahren zu werden.“ Seine Frau ist selbst beim IKRK und so ist der Umgang mit ihrer Arbeit selbstverständlich – auch für die Kinder sei es ganz normal.

„Dieser Job ist nicht für Idealisten gemacht. Wenn dein Antrieb ist, die Welt zu verbessern, dann hältst du es nicht lange aus.“ Sein Beruf führt Dominik Stillart regelmässig an die Orte der Erde, an denen Menschen das grösste denkbare Leid erfahren, wo der Tod erschütternd präsent ist. Das bedeutet eben auch die Schattenseiten zu sehen – welche Rollen Menschen in einem Krieg plötzlich einnehmen.



Dominik Stillhart dämpft viele seiner Sätze mit „wahrscheinlich“, „eher“ und „vielleicht“ und legt damit etwas der Unberechenbarkeit und Ohnmacht in seine Worte, die sicher zur Tagesordnung seines Jobs gehören. Und doch haben seine Erzählungen eine eigene Leichtigkeit. Dominik Stillhart ist ein humorvoller Gesprächspartner, der manch ernste Frage („Wieso fliehen so viele Menschen aus Eritrea?“) auch zunächst mit einem Scherz („Ist niemand aus Eritrea hier, der uns das erzählen kann?“) beantwortet.

Wenn er früher von grossen Missionen zurückkam und Freude traf ging das Thema oft nach ein, zwei Fragen schnell wieder zurück zu „meine Katze ist gestorben“. „Ich bin darüber nicht enttäuscht, aber doch immer wieder überrascht gewesen.“ Es sei natürlich viel einfacher, mit Kollegen über die Arbeit zu sprechen, als mit allen, die nichts derartiges erlebt haben. Wenn er früher von ein- bis zweijahrelangen Missionen zurück in die Schweiz kam, sei einer der ersten Gedanken immer gewesen „wie gut, schön und einfach alles ist. Es gibt alles, alles funktioniert.“

Still schleicht sich neben Ehrfurcht etwas wie Scham in die Gedanken als Zuhörer, wenn die Schweiz doch als eines der reichsten Länder der Welt vergleichsweise sorglos im Überfluss lebt.
Doch Wut habe er nie verspürt. „Was mich aber manchmal enttäuscht, ist das Fehlen von Solidarität gerade gegenüber Flüchtlingen. Wie engstirnig die ganze Diskussion geführt wird und dass wir nicht ein wenig mehr teilen können.“

Kommende Woche wird er in die Ukraine fliegen und dort, wie immer, sein Möglichstes tun.

Etwas möchte er unbedingt betonen: „Man sollte die humanitäre Arbeit nicht idealisieren und das Gefühl haben, das sei der nobelste Job der man machen kann.“ sagt er mit ernster Stimme. Viele andere Berufe seien mindestens so wertvoll, vielleicht weniger „sexy“, aber „ich finde es grossartig, wie sich all diese Leute der Sommerakademie engagieren, für Kinder und Jugendliche, für Schwächere, für Arbeitslose, für Menschen, die Hilfe brauchen.“ sagt Dominik Stillhart und antwortet so mit grosser Anerkennung auf die unsere ihm gegenüber.

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