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Abgrenzen und identifizieren: Die lebenslange Krux mit der Norm

Die Gesellschaft verlangt nach einer klar erkennbaren Norm: Dies führt immer wieder zu Diskriminerung, Ausgrenzung und Vorurteilen. Prof. Dr. Andrea Maihofer zeigt in ihrem Referat anhand der Geschlechterfrage auf, wie stark die Themen Identität und Fremdkörper miteinander verbunden sind.  

 

Kaum ein Thema erhitzt die Gemüter derzeit mehr als Geschlechterfragen. Nur logisch, hat die Sommerakademie deshalb Prof. Dr. Andrea Maihofer eingeladen, ein Referat zum Thema „Fremdkörper – Identität und Geschlecht“ zu halten. Prof. Dr. Andrea Maihofer ist eine Koryphäe auf dem Gebiet der Gender Studies: Sie hat vor über 15 Jahren das Zentrum Gender Studies der Universität Basel aufgebaut, zu einer Zeit, als dieses Thema noch kaum öffentliche Beachtung fand.   Doch was hat Identität überhaupt mit Fremdkörpern zu tun? Ganz viel, wie den Teilnehmenden im Laufe des Referats bewusst wurde. Sehr viele Fälle von Diskriminierungen – ob aufgrund der Herkunft, des Geschlechts, der Hautfarbe oder der Sexualität – gründen auf einer problematischen Identitätskonstruktion, die in unserer westlichen Kultur vorherrschend ist. Doch ganz so trivial ist es auch nicht, weshalb Prof. Dr. Andrea Maihofer ihr Referat sehr gut strukturierte und die Teilnehmenden sicher durch das komplexe Thema führte. 

 

Lebenslange, stabile Identität – eine nicht zu erfüllende Norm 

 

Die Referentin erläutert zuerst das grundlegende Verständnis von Identität. Ein Verständnis, das sich historisch wandelt und in westlichen Kulturkreisen heute hauptsächlich von den bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaften des 18., 19. und 20. Jahrhundert geprägt ist. Eine Identität soll in diesem Verständnis kohärent, kontinuierlich und linear sein und bietet damit eine stabile, einheitliche, lebenslange Ich-Identität. Dass dies eine nicht zu erfüllende Norm darstellt, welche es zu kritisieren gilt, hat auch Prof. Dr. Andrea Maihofer selbst erfahren: „Ich als Deutsche in der Schweiz habe auch innere Widersprüche.“ Viele Zuhörende nicken – wohl weil auch ihre Identität nicht immer so kohärent und widerspruchsfrei ist, wie es die Norm vorgibt. 

 

Um diese Widersprüche sichtbar zu machen, spricht Prof. Dr. Andrea Maihofer über Geschlechtsidentität. Die bürgerliche Geschlechterordnung, die auch heute noch prägend ist, ist stark binär und hierarchisch geregelt. Dabei ist die Männlichkeit der Massstab, das Weibliche hingegen, das definierte Andere, wird lediglich als Objekt verstanden. Um dieser Geschlechterordnung zu entsprechen, müssen wir alle ein klar lesbares Geschlecht herstellen. So war es lange Zeit selbstverständlich, dass zu einem weiblichen Körper eine weibliche Geschlechtsidentität mit einem weiblichen, heterosexuellen Begehren gehört. Doch so einfach ist es meist nicht, weshalb diese Geschlechternorm nun langsam ins Wanken kommt.  

 

Problematik des Andersseins als Legitimation für Ausgrenzung 

 

Diese Normen sind Teil des Problems, womit die Referentin auch den Bogen zum Tagungsthema „Fremdkörper“ schlägt. Sie erklärt es wie folgt: Da wir stark von der Wahrnehmung durch andere abhängig sind und diese Bestätigung durch die anderen brauchen, orientieren wir uns an diesen herrschenden Normen. Diese aber verlangen sehr stark nach Homogenität. So entsteht eine Wir-Identität, durch die eine Abgrenzung zum „Anderen“, zu den Fremdkörpern, stattfindet. Diese Problematik der Gleichheit und Differenz zeigte sich immer wieder und wird auch häufig zur Legitimation von Praktiken und Politiken benutzt. So wurde noch 1957 die Verweigerung des Frauenstimmrechts vom Bundesrat damit legitimiert, dass Ungleiches nun halt mal ungleich behandelt werden müsse. Dadurch sei die Verweigerung kein Unrecht – Frauen seien ja von Natur aus anders. Dass diese Argumentation absurd ist, zeigt sich an den vielen Lachern im Publikum. 

 

Doch wie ist die Situation heute? Leben wir denn nicht in einer Gesellschaft, in der alles möglich ist und jeder nur für sich selbst verantwortlich ist? Auch das ist komplexer, doch durch Prof. Dr. Andrea Maihofers Ausführungen wird es den Sommerakademie-Gästen verständlicher gemacht: Wir leben in einer multikulturellen Gesellschaft, in der verschiedene Wertesysteme nebeneinander existieren, in der viele Werte nicht mehr allgemeingültig sind und in der vermehrt Differenzen und Fremdkörper auftreten. Dadurch zeigt sich klar eine Notwendigkeit für neue Identitätspraxen – eine grosse Herausforderung für uns und unsere Gesellschaft.  

 

Wie wir denn nun diese Erkenntnisse in die Praxis umsetzen können, wird am anschliessenden Vertiefungsworkshop gefragt. Darauf hat Prof. Dr. Maihofer natürlich auch eine klare Antwort: „Was ich mache ist auch Praxis, ich denke nicht nur.“ Und so fordert sie uns auf, mehr zu denken, zu hinterfragen und zu reflektieren – und Widersprüche zuzulassen.

 

Mehr zur Person: www.genderstudies.unibas.ch/zentrum/personen/profil/portrait/person/maihofer

 

Text: Roman Heggli, Fotos: Raphael Hünerfauth

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