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Violinisten

Die Wolkendecke, die dem Himmel jegliche hypothetische Weite nahm, war durchbrochen von vereinzelten Sonnenstrahlen. Golden malten sie auf die farblosen Fassaden der Häuser, auf den grauen Asphalt. In einem Gleichschritt bewegten sich die Menschen durch die Strassen, stets einer Richtung, einem Weg folgend. Gezielt bahnten sie sich ihre Pfade, doch hatten sie kein Ziel. Leute waren verschieden, hatten unterschiedliche Gesichter, die Gestalt in uneinheitlicher Kleidung eingehüllt. Auch wenn Menschen noch so individuell erschienen, ein einziger ging unter. Wir waren eine Ansammlung, ein Haufen. Vielleicht war dies die Ursache, weswegen sich jene Masse als Menschheit bezeichnete. Die gegenwärtigen Generationen erweckten den Anschein, abwesend zu sein, unterlagen diesem einförmigen Ablauf. Es waren Marionetten, gelenkt durch ein geistloses Bewusstsein.

 

Der Himmel spuckte verächtlich schwere Regentropfen aus. Sie klopften in einem unregelmässigen Rhythmus auf den Asphalt, als würden sie die Geräusche der lärmenden Mengen zu einer Melodie verhelfen wollen. Die Gesellschaft war eine Welle, die sich vorwärtsbewegte, doch nicht das Wasser, das stillstand und aus dem die Menschheit bestand. Selbstvergessen schwamm ich durch die graue Flüssigkeit, mein innerer Stillstand schien mich auszulachen. 

 

Melodiefetzen schienen sich in meinem Kopf wie Zecken festgesogen zu haben, unerbittlich führten sie ihren Kampf gegen das Dröhnen der Stadt. Es waren seine Klänge gewesen, die von einer solchen Leuchtkraft gewesen waren, dass ich nur mit geschlossenen Augen zuhören gekonnt hatte. Die Kreutzer-Sonate war nicht länger das Werk Beethovens gewesen, seine Interpretation war von einer Unbändigkeit eines Sturms gewesen. Der Spielstil, die Aura war der Inbegriff von «polychrom» gewesen. Wir hätten verschiedener nicht sein können. Nahezu unwillkürlich griff ich in meine Tasche, hielt die Rangliste des Wettbewerbes in der klammen Hand. Die drei Erstplatzierten wie gewohnt – doch durchlief mich die Erleichterung abermals, die Vorrunden für mich entschieden zu haben. Das schwarz-weisse Blatt befreite sich von meinem Griff, schwebte einen Moment lang in der erdrückenden Luft, bis die Pfeile des Regens es durchbohrte und am Boden festnagelte. 

 

Lückenlos wurde von Farben erzählt, wobei ironischerweise ausschliesslich die Monotonie des schwarz-weissen Farbspektrums und Schatten von Bedeutung waren. Wie dieses leblose Papier, das auf dem mittlerweile nassen Asphalt lag. Er war von einer fahlgrauen Tönung, die Gebäude, an denen ich nun vorbeizog, wirkten eisern, nur dunkle Kleidung wurde getragen. Schlichtweg einfältig, und fast ausnahmslos jeder folgte dieser Eintönigkeit.  Im Mantel der Dunkelheit, der sich langsam um die Stadt legte, zuckten die Lichter der Autos, der Bahnen über mein Gesichtsfeld, tanzten zu einer nicht vernehmbaren Melodie. Schriftzüge verschiedenster Geschäfte kämpften sich mit ihren grellen Strahlen durch die schwarze Dunkelheit, doch hatte die lächerlich kleine Lichtflut in keiner Weise die Kraft, die Finsternis abzuwürgen.

 

Der Kasten lastete schwer auf meinem schmalen Rücken, ich spürte die neugierigen Blicke der Passanten, manche schienen mich zu erkennen. Meine Finger zogen rasch die ebenso phantomgraue Kapuze über den gesenkten Kopf, doch pendelten bereits Gesprächsfetzen über das «menschliche Metronom» zu mir herüber. Doch der Sturm eines Violinisten hatte mich vermutlich übersehen, so sehr hatte ich der Monotonie geglichen. Die Farblosigkeit hatte sich in meinem ausdruckslosen Gesicht fortgesetzt. Emotionslos wie eine Glasfront. Ich wäre einer Puppe keine schwache Konkurrenz gewesen. Mein Spielstil war ebenso das vermutlich genaue Gegenteil. Akkurat. Genau. Fehlerfrei. So, wie es in den Noten steht. Und doch leblos. Unsere Persönlichkeiten hätten sich hassen müssen. 

 

Dennoch, ich wollte ihn erneut hören. Schillernde Kontraste waren beim Spiel um ihn gewabert, hatten sein Herz voller Kraft erfüllt. Malerisch hatten sich die Farben stets neu vermengt, hatten jegliche Arten von Kombinationen erschaffen. Sie hatten sich spielerisch um den Körper gewunden, waren als Feuerzungen aufgeflammt. Erfüllt von einer unendlichen Energie waren sie zu keiner Zeit erloschen. Seine Musik hatte den Saal mit Farben ausgemalt. 

 

Meine Schritte verlangsamten sich. Stellten das Laufen in der Unterführung des riesigen Bahnhofes schliesslich ganzheitlich ein. Die Nacht war eine Zeitspanne, in der ich mich isoliert fühlte, ich mich freier bewegen konnte als tagsüber, auch wenn die Menschen momentan noch von einer wahnsinnig hohen Zahl waren. Der Carbon-Kasten glitt zu Boden, ich liess ihn liegen. Bei Musikwettbewerben ging es ausschliesslich darum, so perfekt zu spielen wie möglich. Gefühle aussen vorgelassen, sobald sie die Spielgenauigkeit beeinflussten. Was die exakte Definition meines Stiles darstellte. Doch die Musik konnte Worte transzendieren, durch sie konnten Musiker sich kennenlernen, sich verstehen. Als wären ihre Seelen miteinander verbunden, ihre Herzen überlappend. Es war eine Konversation durch Instrumente, ein Wunder, welches Harmonie kreierte.

 

Ohne Leidenschaft zu spielen war ein weitaus grösserer Fehler, als ein nach Noten perfektes Spiel, so wie sie es uns eintrichtert hatten. Und so lange ich eine Chance hatte zu spielen sowie auch nur ein einzelner Mensch zuhört, würde ich mit allem, was ich besass, vortragen. So, dass die Leute, die mich hörten, mich nie vergassen. So, dass ich für immer in ihren Herzen leben konnte. So wie er den einzigen Weg eines Violinisten gewählt hatte, mit einer unfreien Welt umzugehen. Absolut frei zu werden, Farbkleckser in einer farblosen Welt zu verteilen. Die einzige Art, wie Musiker in ihrer eigenen Existenz dagegen rebellieren konnten. 

 

Ich nahm meine Geige aus dem Kasten. Ich spielte.

 

Text: Elisa (15 Jahre), schreibdichfrei.net

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