Was ist eigentlich Hate Speech?
Über Hass im Netz referierte Judith Bühler von jass-mit.ch und gab Tipps wie wieder mehr Liebe ins Internet kommt.
"Umbringen und verkommen", "Schweine an den Pranger mit dem Pack", "sollen sie doch verhungern..." – diese Kommentare hat Judith Bühler im Jahr 2015 auf Facebook unter Artikeln zu Geflüchteten entdeckt. Heute zeigt sie in ihrem Workshop die Screenshots davon. "Mich hat das wütend gemacht," sagt sie. Es sind reale Kommentare von realen Personen: Man nennt es auch Hate Speech.
Im Jahr 2015 wurde der Hass in der Schweiz besonders laut: Weil viele Geflüchtete hierher kamen, füllten sich die Kommentarspalten von Online-Medien und auf Facebook mit rassistischen Kommentaren. Daraus entstand die Organisation Jass von der Judith Bühler die Gesamtprojektleiterin ist. "Wir wollten Solidarität dem Hass gegenüberstellen," sagt sie.
Hate Speech ist kein geschützter Begriff und kommt ursprünglich aus dem Englischen. Übersetzt bedeutet es Hassrede. Von Hate Speech wird gesprochen, wenn sich Hass gegen eine einzelne Person, Gruppe oder Organisation richtet und eine bewusste Herabsetzung zu erkennen ist. "Wir hassen die anderen ist das Mantra," erklärt Bühler. "Hate Speech existiert sowohl in Bild, Ton und Text. Es sind vorrangig üble Kommentare und Memes zu finden."
Der Teufelskreis
Jass hat selbst auch schlechte Erfahrungen gemacht: Dadurch, dass sie sich gegen Hate Speech engagieren, wurde gegen sie ein Hate-Speech-Krieg angefangen. "Wir haben daraufhin ein Video zu Hate Speech veröffentlicht unter anderem mit einer Mitarbeiterin von uns, die Kopftuch trägt," erzählt Bühler. "Wir wollten mit dem Video zeigen, dass es immer eine Alternative zu Hate Speech gibt." Das Ganze führte zu einem Ergebnis: Unter dem Video gab es erneut Hasstiraden.
Ist das wirklich noch Meinungsfreiheit?
Viele User würden sich laut Bühler hinter der Floskel "Das wird man ja wohl noch sagen dürfen..." verstecken. "Hass ist keine Meinung" sagt die Gesamtprojektleiterin. Wer mit seinem Kommentar gegen die Menschenrechte verletzt, der äussert keine freie Meinung. "Sprache bedeutet handeln und ist somit der Nährboden von Gewalt. Deshalb ist Hate Speech so problematisch," sagt sie.
Die Situationsanalyse
Bei einer Befragung von Jass zu Hass im Netz antworteten auf die Frage "Ist Hass im Netz ein Problem?" 93 Prozent mit Ja. "Sieben Prozent der Befragten gaben an, dass sie nicht wissen, ob es ein Problem ist. Sie fanden es gut, dass der Hass durch das Netz sichtbar gemacht wird." Ohne zu wissen, dass der Hass existiert, lässt sich auch nicht dagegen vorgehen. Zudem fand Jass heraus, dass 90 Prozent der Leute nur mithören und mitlesen aber sich nicht einmischen bei Diskussionen im Netz. "Das ist der Grund warum die Gegenrede kaum hörbar ist."
Wie umgehen mit Hass im Netz?
Bühler hat gleich mehrere Lösungsansätze parat, wie wir gegen den Hass vorgehen können:"Viele Menschen teilen aufgrund von Empörung Hass im Internet. Das ist kontraproduktiv," sagt sie. Denn der Hass verbreitet sich so nur noch schneller.Eine witzig und lockere Lösung bietet das deutsche Pendant zu jass-mit.ch: Das "No Hate Speech Movement" hat auf seiner Webseite no-hatespeech.de unter der Kategorie "Kontern" GIFs und Memes gesammelt, um auf Sexismus, Rassismus, Antisemitismus und Hate Speech gegen Geflüchtete, gegen Menschen mit Behinderung oder gegen LGBTIQ* zu reagieren.
Es gibt auch die Möglichkeit Hate Speech anzuzeigen: Denn in vielen Fällen sind die rassistischen Kommentare auch strafbar. "Ich selbst habe auch schon Hasskommentare gegen mich angezeigt," sagt Bühler. Allerdings sind nicht alle Kommentare justiziabel. Die Staatsanwaltschaft entscheidet darüber, welche Kommentare gegen das Schweizer Gesetz verstossen. "Manchmal fehlt den Polizisten auch die Sensibilität dafür," berichtet Bühler. "Zu mir wurde einmal gesagt: 'Ja dann gehen sie doch einfach nicht auf Facebook. Dann müssen sie solche Kommentare nicht lesen.' Aber nur weil ich nicht auf Facebook gehe, verschwindet der Hass doch nicht."
Der Anfang eines sinnvollen Dialogs
Als ziemlich erfolgreich hat sich für Jass noch eine andere Strategie erwiesen: In einem Projekt arbeiten sie aktuell mit Influencer*innen zusammen, die für Toleranz und Akzeptanz werben. "Es gibt unter den Kommentatoren*innen drei verschiedene Gruppen," so Bühler. "Die Trolle, glaubenskriegerische Menschen und wütende Menschen mit einer anderen Meinung oder einem anderen Weltbild." Wenn die Influencer*innen den wütenden Kommentator*innen mit einer Begrüssungs- und Schlussformel begegneten und argumentierten oder sagten, dass das Kommentar verletzend sei, reagierten die User meistens empathisch und übernahmen in ihrer nächsten Antwort das "Hallo!" und das "Tschüss!". Der Anfang eines sinnvollen Dialogs war möglich. "Bei den anderen zwei Gruppen ist das von meiner Erfahrung her zwecklos," sagt Bühler.
Text: Tamara Keller