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Wie Arme soziale Normen ausdrücken

Erneut hat die Sommerakademie eine Koryphäe ihres Fachs nach Solothurn gelockt: Prof. em. Dr. Ueli Mäder. Der linke Soziologie-Professor hat über 10 Jahre lang an der Universität Basel gelehrt. An der Sommerakademie erläutert er in einem Referat und im Vertiefungsworkshop, was ein Leben in Armut heutzutage in der Schweiz bedeutet.

Sozialen und gesundheitlichen Folgen der Armut begegnen
Dienstagmorgen um 9:30 Uhr. Der Saal im Landhaus ist prall gefüllt und die Stimmung ist ausgelassen. Man merkt, dass sich das Sommerakademie-Publikum auf die nächsten Tage freut, die mit dem Input von Mäder gleich zu Beginn mit einem Knaller starten. Einer von Mäders Forschungsschwerpunkten war die "Soziale Ungleichheit (Reichtum/Armut, Integration/Ausschluss)", wie es auf der Webseite der Uni Basel heisst.

Der emeritierte Professor Ueli Mäder beeindruckt mit seinen Qualitäten als Referent und Mensch. Als Akademiker schafft er es, den Armen zuzuhören und ihren Bedürfnissen Gehör zu verschaffen. Die  Zuhörer*innen halten die bunten Kärtchen in der Hand, die zuvor noch auf den Stühlen lagen, und sind gespannt auf das, was ihnen Ueli Mäder als Kernbotschaft mitgeben kann. Sie wollen wissen, wie sie den sozialen und gesundheitlichen Folgen der Armut begegnen können.


Armut als Mangel sozialer Sicherheit

Mäder beginnt sein Referat mit der Klärung von Begrifflichkeiten. Normen beispielsweise sind gesellschaftliche Erwartungen, welche an einzelne gestellt werden. Dazu führt Ueli Mäder aus: "Soziale Normen drängen Menschen an den Rand, die in ihrer Mitte leben". Was dabei verloren gehe, sei die soziale Sicherheit. Die Reaktion darauf ist dann unterschiedlich: Während die einen den Rückzug antreten, ist es bei den anderen die Flucht nach vorn.

Eine gemeinsame Folge der Armut als Mangel sozialer Sicherheit ist jedoch die Resignation, die zur (politischen) Empörung wird: Mäder nennt das Phänomen, sich beispielsweise über Flüchtlinge aufzuregen, also die Schuld bei den anderen zu suchen, weil man sich selbst handlungsunfähig fühlt.

Armut inmitten des Reichtums
Die Fakten zur Armut in der Schweiz wiegen schwer: 615'000 Personen gelten in der Schweiz als arm. Dagegen stehen 3 Prozent Reiche, die mehr haben als 97 Prozent der Bevölkerung. "Es gibt heute den sozialen Aufstieg, aber es gibt eben daneben auch den sozialen Abstieg. Beides stimmt. Die Chancen, Lebensqualität zu verwirklichen, sind heute besser, aber auch bedrohter denn je.", schildert Ueli Mäder die aktuelle Situation in der Schweiz.

Eine Erklärung dafür sei der Paradigmenwechsel Ende der 80er-Jahren: Die Ökonomisierung hat grosse Veränderungen gebracht und forcierte damals wie heute die Konkurrenz. Man war der Meinung, dass man nur fleissig sein müsse, um Erfolg zu haben – im Umkehrschluss ist man bei einem Scheitern selbst schuld, weil man sich zu wenig Mühe gegeben hat. Heute verschärft die Digitalisierung die soziale Brisanz zusätzlich und normiert das Denken.

Armut als Generationenthema
Es ist dieses Denken, dass es jeder schaffen kann, welches in der Gesellschaft immer noch vorherrscht – und welches dazu führt, dass Armut krank macht. Oder Krankheit arm. Denn Armut ist nicht nur eine vorübergehende Zahl in der Statistik oder auf dem Bankkonto, sondern ein Konzept, welches die Betroffenen verinnerlicht haben.

Mäder erklärt: "Die älteren Generationen beeinflussen die wirtschaftlichen oder sozialen Werte für die jüngere Generation oft nicht positiv, sodass diese nicht aus der Armut herauskommen. Dieser Kreislauf geht weiter, wenn die Kinder arme Erwachsene werden, die arme Kinder zur Welt bringen."

"Heimat lebt im sozialen Miteinander"
Wenn wir also über Heimat – oder eben Ungleich-Heimat – sprechen wollen, dann stellt sich die Frage, welchen Wert Heimat heute hat: "Geht es darum, alles noch schneller drehen zu lassen? Oder mehr Lebensfreude, sozialen Sinn und Selbst-Reflexivität in den Alltag zu integrieren?". Heimat erhalte ihren Wert über den sozialen Sinn, den wir ihr geben: Es entstehen neue Formen der Geborgenheit. Denn wichtig sei vor allem für die von Armut Betroffenen, dass ein lebendiges Miteinander auf Augenhöhe stattfindet: "Wichtig sind eine Integration mit politischer Partizipation und demokratische Teilhabe in allen Lebensbereichen."

Zum Schluss lobt Mäder noch, wie die Gesellschaft sich heute viel mehr in Frage stellt und Einzelne auch bereit dazu sind, ihre Aussagen zu revidieren und selbstkritisch zu denken: "Die Schwierigkeit besteht vor allem darin, dabei nicht in eine Willkürlichkeit abzudriften", so Ueli Mäder.

Das Publikum ist sichtlich zufrieden mit dem heutigen Auftakt. Die letzten sitzen noch auf ihren Stühlen und schreiben ihre Kernbotschaft auf. Jemand schreibt: "Heimat duldet keine Ausgrenzung."

(Text: Jeannette Blank und Leah Gutzwiller, Bilder: Raphael Hünerfauth)

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