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Gleichstellung als Weg und Mittel zur Integration

Testfall Integration: Der Titel der diesjährigen Sommerakademie trifft in Bezug auf die Integration von Menschen mit einer Behinderung voll ins Schwarze. Laut Brain McGowan befindet sich die Schweiz hier noch immer in einer Testphase. In seinem Referat führt der Leiter der Fachstelle Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen der Stadt Bern aus, dass der Anspruch auf Gleichstellung in allen Lebensbereichen eine Rolle spielt und dass gemeinsame Erfahrungen das beste Mittel zur Sensibilisierung sind. Ein Bericht.

Wohl kein Referent vor Brain McGowan erklomm die Bühne des Kursaals in Engelberg auf eine ähnlich spektakuläre Art und Weise – mit einem Gabelstapler. Der Treppenlift in diesem Saal ist für Elektrorollstühle wie McGowan einen besitzt nicht zugänglich und brachte so die Organisatoren auf diese kreative Lösung. So wie Brain McGowan an der Sommerakademie stossen Menschen mit einer Behinderung immer wieder auf Barrieren. Und dies nicht nur in Form von Treppen oder unpassenden Treppenliften. Barrieren treten in allen Lebensbereichen auf.


"Eine nachhaltige Integration muss alle Lebensbereiche miteinander angehen!"

Treppen und Steigungen im öffentlichen Raum, zu wenige hindernisfreie und bezahlbare Wohnungen, schlechter Zugang zu Kulturstätten für Menschen mit einer Behinderung, ob als Konsument oder als Künstler, Dienstleistungsangebote welche den Bedürfnissen von Menschen mit einer Behinderung nicht gerecht werden oder Arbeitsstellen welche für Menschen mit einer Behinderung aufgrund physischer oder geistiger Barrieren – sprich Vorurteilen – nicht zugänglich sind. Barrieren jeglicher Art beeinträchtigen oder verhindern den Anspruch auf Gleichstellung, Selbstbestimmung und Teilhabe von Menschen mit einer Behinderung. "Es ist wichtig darauf hinzuweisen, dass die Lebensbereiche nicht getrennt voneinander angegangen werden können. Was nützt zum Beispiel eine rollstuhlgängige Arbeitsstelle, wenn die betroffene Person den Weg bis zur Arbeit durch Barrieren im öffentlichen Raum nicht bewältigen kann?", so McGowan.

McGowan zeigt mit seinen Ausführungen auf, wie komplex alle Lebensbereiche miteinander verknüpft sind. Er bemängelt dass in den unterschiedlichsten Lebensbereichen immer wieder geplant und gewirkt wird, ohne das Wissen um die Bedürfnisse von Menschen mit einer Behinderung zu berücksichtigen. Wie kann ein Architekt oder ein Anbieter von Dienstleistungen für die Bedürfnisse von Menschen mit einer Behinderung sensibilisiert werden? Wie können Vorurteile in der Gesellschaft abgebaut werden? McGowan ist überzeugt, dass persönliche Erlebnisse, Begegnungen und Erfahrungen zwischen Menschen mit und ohne Behinderung der Schlüssel dazu sind. "Wären sie alle mit Kindern mit einer Behinderung zur Schule gegangen, dann müsste ich heute hier nicht referieren. Die Probleme und die Thematik wäre Ihnen bekannt."

"Die Vorbereitung auf die Welt findet in der Welt selbst statt"

McGowan fordert, dass Kinder mit einer Behinderung in Regelklassen integriert werden sollen. Er formuliert zwei Thesen, welche aufzeigen sollen, dass sich damit zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen lassen.

These 1: Die schulische Integration ist fast immer zum Wohle des Kindes.

Von einem Kind, welches zehn Jahre lang isoliert von der "echten" Welt beschult wird, könne nicht erwartet werden, dass es sich danach in der Welt zurecht finden würde. Eine integrative Schulform sei daher immer einer Sonderschule vorzuziehen. Diese Sichtweise wird auch vom Bundesgericht geteilt.

These 2: Die schulische Integration ist fast immer zum Wohle der Gesellschaft.

Gemeinsame Erfahrungen stellen für alle Seiten die beste Sozialisation dar. Durch diese könnte man auch die oftmals millionenschweren Sensibilisierungskampagnen einsparen, so McGowan. Menschen, welche sich der Bedürfnisse von Personen mit einer Behinderung bewusst sind, setzten sich in ihrem Tätigkeitsfeld meist auch für den Abbau von Barrieren ein.

Engagement: die Hohl- und die Bringschuld

"Wer gehört werden will, muss sich Gehör verschaffen!" McGowan bemängelt, dass sich die Bewegung der Menschen mit einer Behinderung in der Schweiz dieses Gehör noch nicht verschaffen kann. Es fehlt an einer starken einheitlichen Stimme der unterschiedlichen Organisationen. Diese seien viel zu sehr mit ihrem "Gärtchendenken" und der gegenseitigen Konkurrenz beschäftigt. Hier sieht McGowan die Hohlschuld seitens der Behindertenorganisationen.

Doch auch von gesellschaftlicher Seite her müsse einiges gehen. Grundsätzlich ist niemand gegen Integration und Gleichstellung – solange es nichts kostet. Der tatsächliche Abbau von Barrieren ist nicht in jedermanns Interesse. Gegen den Vorschlag der integrativen Beschulung zum Beispiel regen sich von verschiedenen Seiten her grosse Widerstände. Eltern von Kindern ohne Behinderung fürchten, dass die Kinder mit einer Behinderung zu viel Aufmerksamkeit der Lehrkräfte benötigten und ihre eignen Kinder somit zu kurz kämen. Lehrpersonen fürchten sich vor einer Überforderung. Diese Ängste haben aus der Sicht von McGowan ihre Berechtigung. Wenn jedoch Ressourcen von den Sonderschulen auch nur teilweise für die Unterstützung integrativer Schulformen genutzt würden, wäre sehr vieles möglich. Die Gesellschaft steht hier in einer Bringschuld und muss sich dafür einsetzten, dass der rechtlichen Gleichstellung von Menschen mit einer Behinderung auch die faktische Gleichstellung folgt.

Is your inability to see my ability your disability?

Diese Frage sollten sich alle Entscheidungsträger immer wieder selbst stellen, meint McGowan abschliessend. Denn die Gleichstellung ist nicht nur das Ziel sondern auch das Mittel zur Integration von Menschen mit einer Behinderung. Der Weg zur Gleichstellung von Menschen mit einer Behinderung sei noch lang, doch auf einem gemeinsamen Weg kann die Gesellschaft lernen und entstehen.

 

Zwei Definitionen

Behinderung: vom individuellen Modell zum sozialen Modell.
Unter dem Begriff Behinderung wurde bis in die 1980er Jahre eine individuelle Funktionseinschränkung einer Person verstanden. Dieses individuelle Modell stellt die Defizite in den Fokus und sucht individuelle Lösungen für die betroffene Person. Dieses Modell begann ab 1980 zu bröckeln. Das heutige soziale Modell richtet sich nach dem 2001 von der WHO eingeführten Behinderungsbegriff und definiert Behinderung als ein Wechselspiel zwischen individuellen Einschränkungen und Umweltfaktoren.

 

Gleichstellung:
Gleichstellung will Hindernisse und Barrieren beseitigen oder reduzieren, mit dem Ziel, dass Menschen mit einer Behinderung die gleichen Chancen haben wie Menschen ohne Behinderung.

Präsentation zum Referat

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