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Freitag warnt vor dem Niedergang der Schweizer Zivilgesellschaft – und verrät, was man dagegen tun kann

Wie viele Freunde du hast, kann wichtiger sein als der Stand deines Bankkontos. Prof. Dr. Markus Freitag zeigt in seinem Referat den Wert von sozialem Kapital auf und erklärt, warum dieses in der Schweiz stetig abnimmt. Der Politikwissenschaftler hat für die Sommerakademie-Gäste aber auch etwas "Dünger" dabei: 150 Tipps für ein starkes, wachsendes Sozialkapital. 

 

Gute Freunde und die richtigen Beziehungen sind Gold wert. Das dies nicht nur eine leere Floskel ist, zeigt der Politikwissenschaftler und Soziologe Prof. Dr. Markus Freitag in seinem Referat am Sommerakademie-Mittwoch auf. Seine Erklärung leuchtet ein: Freitag beginnt das Nachmittagsreferat zum Thema "Das soziale Kapital der Schweiz" mit einem einfachen Beispiel. "Wer umzieht braucht Hilfe – entweder bezahlt man dafür ein Umzugsunternehmen. Oder aber, man hat gute Freunde." Diese bekommen in dem Falle einen klar bezifferbaren Wert. Dies ist aber nicht das einzige messbare Kriterium. So zeigt eine Studie: "Wer viele Freunde hat, lebt länger." Keine Freunde zu haben, wirke sich aus wie der Konsum von 15 Zigaretten am Tag. 

 

Ein hohes Sozialkapital beeinflusst die Gesellschaft

 

Das persönliche Umfeld – Freunde, Bekannte, Familie, Kollegen – ist also etwas wertvolles. Ja, so sagt der Soziologe der am Institut für Politikwissenschaft der Universität Bern tätig ist, werde das sogenannte Sozialkapital heute schon fast gleichgestellt mit Vermögen und Humankapital. Er spricht hier von den drei K’s: "Neben dem, was auf dem Konto ist und was man im Kopf hat, zählen auch die Kooperationen, auf die man zurückgreifen kann." Sozialkapital findet dabei an verschiedenen Orten statt. Besonders stark ausgeprägt ist es laut Freitag aber in Vereinen. So übernehmen Menschen in Vereinen oft freiwillige Tätigkeiten und Ämter: Vom Fahrdienst übers Präsidium bis zur Organisation von Anlässen. Und genau dieses Engagement ist nun eben Sozialkapital. 

 

Ob das Sozialkapital in einem Land, einer Region oder einem Quartier hoch oder eben gering ist, zeigt sich wiederum auf verschiedenen Ebenen. So legt Freitag in seinem Referat Auszüge aus verschiedenen Untersuchungen vor. Diese zeigen: In Ländern, in denen ein hoher prozentualer Anteil der Bevölkerung in Vereinen aktiv ist, herrscht ein grösseres Grundvertrauen anderen Menschen gegenüber. "Die Bevölkerung ist insgesamt toleranter", erläutert der Wissenschaftler. Dies wiederum zeigt sich im Alltag so, das man eher einem Mitmenschen hilft – oder eben selber Hilfe erfährt. 

 

"Jugend ist überall unterrepräsentiert"

 

Die Schweiz, mit einer hohen Rate an Vereinsmitgliedern, schafft es in all diesen Untersuchungen in die Top Ten des europaweiten Vergleichs. "Nun ist es aber so, dass Vereinsmitgliedschaften in der Schweiz seit 1970 stark rückläufig sind." Vor allem bei der jungen Generation, den 20 bis 39-Jährigen, engagieren sich immer weniger in einem Verein. So hat sich die Zahl bis 2010 halbiert. "Ob im Sportverein, in der Politik oder in sozialen Projekten – die Jugend ist heute überall unterrepräsentiert." 

 

Für die Schweiz bedeute das also: "Das Sozialkapital sinkt." Das dies nicht einfach eine leere Drohung ist, zeige sich in einer anderen Statistik. So zeigt eine Untersuchung einen starken Rückgang bei der Übernahme von freiwilligen und politischen Ämtern bei den 20- bis 39-Jährigen. "Es sind also ernsthafte Anzeichen eines Niedergangs der Schweizer Zivilgesellschaft zu erkennen", richtet sich Freitag besorgt an das Publikum.  

 

Facebook-Account ersetzt Vereinsmitgliedschaft

 

Der Soziologe versucht Antworten zu geben auf den Trend. So macht er zum einen die Veränderung der Familienrollen verantwortlich. Frauen seien heute länger und stärker engagiert im Berufsleben, Männer wiederum würden mehr Verantwortung übernehmen im Haushalt. Ergo bleibe weniger Zeit, sich in einen Verein einzubringen. Ein anderer Faktor sei die Veränderung der soziokulturellen Zusammensetzung der Bevölkerung. "Die Schweiz verzeichnet in den letzten Jahren mehr Zuwanderer", führt Freitag aus. "Diese sind nicht sofort eingebunden oder gar willkommen in einer Gruppierung."

 

Eine Rolle spielt aber auch der Zeitgeist mit der Entwicklung der Technologie und der Globalisierung: Die Welt rückt zusammen, alles und Jeder ist jederzeit abrufbar, will und muss flexibel und individuell sein. "Statt in einem Verein ist man heute auf Facebook", scherzt Freitag. Nur: "Die Vereinsmitgliedschaft fördert Toleranz. Facebook leider nicht." "

 

Hände weg von Sparmassnahmen im Bildungsbereich"

 

Es sei nun an der Politik und am Staat, dem Trend des sinkenden Sozialkapitals entgegenzuwirken und "Weichen zu stellen". Eine konkrete Lösung kann Freitag nicht nennen. Nur so viel: Bildung habe einen direkten Einfluss auf das Sozialkapital. "Also Hände weg von jeglichen Sparmassnahmen in diesem Bereich", warnt er. Er empfiehlt gar, einen weiteren Schwerpunk im Bildungsbereich zu setzen und die Themen Engagement und Kooperation zum Thema zu machen im Elternhaus und in der Schule.  Aber nicht nur der Staat ist die Lösung des Problems. "Sondern jeder Einzelne", richtet sich Freitag direkt an die Sommerakademie-Gäste.

 

Mit einer ganz speziellen Liste und einer Bitte verabschiedet er die Zuhörer in den Nachmittag und in die Workshop-Runde. "150 Ideen zur Förderung des Sozialkapitals", heisst die Liste. "Am besten fangen sie gleich mit Tipp 54 an", rät Freitag. Dieser lautet: "Aufmerksam sein." 

 

Neugierig, was die anderen Punkte in der Liste sind? Hier gibt es alle 150 Tipps zum Download.

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